Prozesswärme wird zur Standortfrage: Milliardenchance für die deutsche Industrie durch Energieeffizienz
Pressemitteilung der DENEFF e.V. vom 18. September 2024
Prozesswärme wird zur Standortfrage: Milliardenchance für die deutsche Industrie durch Energieeffizienz
Berlin, 18.09.2024. Klimaneutrale und energieeffiziente Prozesswärme wird zu einer entscheidenden Frage für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Eine neue Kurzstudie der Hochschule Niederrhein, durchgeführt im Auftrag der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF), zeigt, dass in deutschen Unternehmen durch gezielte Maßnahmen insgesamt bis zu 21 Milliarden Euro jährlich an Energiekosten eingespart werden könnten.
Schmelzen, härten, backen – der weit überwiegende Teil an Energie und CO₂-Emissionen von Unternehmen fließt in diese und ähnliche Bereiche. „Für industrielle Wärmeanwendungen wird in Deutschland genauso viel Energie verbraucht wie für die Gebäudewärme – und das noch überwiegend fossil“, erklärt Christian Noll, Geschäftsführender Vorstand der DENEFF. „Es ist überfällig, dass die Politik das Thema strategisch adressiert. Sicher wird es eines der bestimmenden Wirtschaftsthemen für die nächste Legislaturperiode.“
Die Hälfte der Prozesswärme lässt sich wirtschaftlich einsparen
Einige Vorreiterunternehmen haben bereits Schritte eingeleitet. Doch die Ergebnisse der Studie zeigen, dass im Schnitt die Hälfte der aktuell verwendeten Prozesswärme in der Industrie wirtschaftlich eingespart werden kann. Prof. Dr. Jörg Meyer, einer der Autoren der Studie, hebt hervor: „Das entspricht einem Drittel des gesamten industriellen Energiebedarfs in Deutschland.“ Die möglichen Potenziale und Maßnahmen unterscheiden sich nach Branche und Temperaturniveau. Eine große Rolle spielen Wärmerückgewinnung, bessere Steuerung und die exakte Bestimmung der benötigten Temperatur. In Bereichen, in denen Temperaturen bis 200 Grad benötigt werden, könne Abwärme direkt in Industriewärmepumpen recycelt werden und so ganze 80 Prozent im Energieeinkauf gespart werden. Elektrifizierung kann auch im Bereich der Industriewärme helfen, erneuerbare Energien direkt zu nutzen – bis in hohe Temperaturbereiche. Die individuellen Einsparmöglichkeiten einzelner Unternehmen können unterschiedlich ausfallen – abhängig insbesondere von Temperaturniveaus, Prozessen und bereits umgesetzten Maßnahmen.
Milliardenschwere Wettbewerbs-Chance für deutsche Unternehmen
Um die Transformation der Prozesswärme kommen Unternehmen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht herum, um die Klimaziele zu erreichen. Ohne Wärme ist kaum ein Produkt herstellbar. Mit einer klugen, energieeffizienten Lösung könnten insgesamt jährlich 21 Milliarden Euro an Energiekosten für die Prozesswärmebereitstellung vermieden werden. Dies stellt eine riesige Chance für Unternehmen dar, ihre Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland zu sichern und langfristig von den Einsparungen zu profitieren.
Energiesparen lohnt sich sofort: Attraktive Renditen durch Effizienzmaßnahmen
Die Studie zeigt auch, dass das Energiesparen sich bereits heute rentiert: Der überwiegende Teil der wirtschaftlichen Einsparpotenziale besteht aus Maßnahmen, die eine attraktive Rendite bieten und sich innerhalb weniger Jahre amortisieren. „Am besten sollten Unternehmen jetzt direkt loslegen, und das tun auch immer mehr“, ergänzt Dr. Tatjana Ruhl, Leiterin des Bereichs Dekarbonisierung der Industrie bei der DENEFF. Doch wie bei vielen anderen Energieeffizienzmaßnahmen scheitere es immer wieder an der Kenntnis geeigneter Maßnahmen, Finanzierungsmöglichkeiten, der Prioritätensetzung im Unternehmen, sehr kurzfristigen Renditeerwartungen, Unsicherheiten bezüglich der Entwicklung von Energiepreiskomponenten und oft schlicht an der Verfügbarkeit von ausreichend großen Stromnetzanschlüssen.
Die DENEFF appelliert daher an die Bundesregierung, eine Strategie für die energieeffiziente Dekarbonisierung der Prozesswärme aufzustellen. Neben einem stabilen Förderrahmen muss Energieeffizienz auch Priorität bei der Kraftwerkstrategie und beim Netzausbau erhalten. Bestehende Regelungen wie beispielsweise das Energieeffizienzgesetz müssen konsequent umgesetzt werden.
Eckpunkte der Kurzstudie:
- Effizienz als Schlüssel für die Wärmewende in der Industrie: Die Hälfte der Prozesswärme kann wirtschaftlich eingespart werden, in niedrigen Temperaturbereichen sogar über 80 Prozent (u.a. durch den Einsatz von Industriewärmepumpen).
- Chance für Unternehmen in Deutschland: 21 Milliarden Euro jährlich könnten in Deutschland an Energiekosten für die Prozesswärmebereitstellung eingespart werden.
- Energiesparen lohnt sich schon jetzt: 63 Prozent der wirtschaftlichen Energieeinsparpotenziale sind Maßnahmen mit einer attraktiven Rendite, die sich innerhalb von drei Jahren amortisieren.
Stimmen zur Thematik aus Wissenschaft und Praxis:
NRW.Energy4Climate – Christian Mildenberger, Geschäftsführer
„Die Studienergebnisse zeigen mittels einer Maßnahmenhierarchie – analog zu unserem 4-Stufen-Modell – klar: Es gibt immense Einsparpotenziale, die wirtschaftlich gehoben werden können, um die Klimaschutzziele zu erreichen, verantwortungsvoll mit dem begrenzten Energieangebot umzugehen und die unternehmerische Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu sichern. Natürlich werden auch nach der Ausschöpfung aller Energieeffizienzpotenziale weitere Umstellungen in der industriellen Wärmeversorgung notwendig sein, um Klimaneutralität zu erreichen. Aber die Steigerung der Effizienz ist der entscheidende erste Schritt.“
Fraunhofer ISI – Prof. Dr. Clemens Rohde, Stellvertretender Leiter des Competence Centers Energietechnologien und Energiesysteme u. Leiter des Geschäftsfelds Energieeffizienz
„Die Studie der Hochschule Niederrhein bestätigt und erweitert die bestehende Literatur. Sie zeigt, dass die Energieeinsparpotenziale in der Prozesswärme erheblich sind. Besonders im Niedertemperaturbereich erweist sich die industrielle Wärmepumpe als entscheidender Faktor. Um jedoch eine optimale Wirtschaftlichkeit zu erreichen, ist eine ganzheitliche Betrachtung der Wärmeintegration erforderlich, die beispielsweise die Wärmerückgewinnung einbezieht. Dadurch sind die Amortisationszeiten oft wesentlich kürzer als allgemein angenommen.“
Prognos – Dr. Alexander Piegsa, Senior Experte Modelle & Industrie
„Auf den ersten Blick wirken die ermittelten Effizienzpotenziale enorm, aber es gibt tatsächlich in den verschiedenen Branchen und Temperaturbereichen zwar sehr unterschiedliche, aber in Summe erhebliche Effizienzpotenziale. Insbesondere Wärmepumpen haben hier einen besonders großen Hebel, da nur rund ein Viertel der benötigten Wärme als Strom aufgewendet werden muss. Daher können wir die Ergebnisse der Hochschule Niederrhein zumindest in ihrer ungefähren Größenordnung bestätigen. Eine Detailbetrachtung für die einzelnen Branchen und Temperaturbereiche würde sich sehr lohnen.“
ZHAW – Dr. Muriel Siegwart, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe für Erneuerbare Energien
„Die vorliegende Studie der Hochschule Niederrhein bestätigt den aktuellen Stand der Forschung. Die Einsparungspotentiale in der industriellen Prozesswärme sind sowohl im Hoch- als auch im Niedrigtemperaturbereich enorm. Jetzt gilt es die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen, um noch mehr Einsparpotential in kurzer Amortisationsdauer realisierbar zu machen.“
Wuppertal Institut – Dipl.-Ing. Dietmar Schüwer, Senior Researcher im Bereich zukünftige Energie- und Industriesysteme u. im Forschungsbereich Sektoren und Technologie
„Energieeffizienz bezieht sich nicht nur auf die Quantität der eingesetzten Energie, sondern auch auf dessen Qualität. Die Wertigkeit von Energie wird mit dem Begriff Exergie beschrieben. Sie ist bei der Wärme direkt abhängig vom Temperaturniveau. Eine zentrale Herausforderung besteht daher darin, für jeden spezifischen Anwendungsfall maßgeschneiderte Lösungen zur Wärmeerzeugung entsprechend dem benötigtem Temperaturniveau zu entwickeln und einzusetzen. Wir sprechen hier auch von LowEx-Konzepten.“
BFE – Jan Fleischer, Prokurist u. Abteilungsleiter Energieeffizienz
„Aus unserer Praxis wissen wir, dass sich immer mehr Unternehmen mit der Dekarbonisierung ihrer Prozesswärme auseinandersetzen. Gerade in den niedrigeren Temperaturbereichen ist durch standardisierte Lösungen viel und immer mehr möglich. Gerade Wärmerückgewinnung rechnet sich besonders schnell, sofern sich eine sinnvolle Verwendung für die Abwärme ergibt.“
„Die Studie der Hochschule Niederrhein zeigt, dass die theoretischen wirtschaftlichen Energieeinsparpotentiale in der industriellen Prozesswärme mit 49 Prozent des aktuellen Verbrauchs enorm sind. Um diese zu realisieren, braucht es klare Kommunikation, Gesetzeslage und eine verlässliche Förderung, die Investitionen mittelfristig planbar machen.“
Ökotec – Knut Grabowski, Head of EnEffCo® Research & Development u. Partner
„Die Aufstellungen von Transformationskonzepten mit der Zielstellung der klimaneutralen Produktion deckt bei vielen Unternehmen große und oft noch nicht erkannte Einsparpotentiale auf. In den von ÖKOTEC umgesetzten Projekten liegt das relative Einsparpotential im Bereich der Wärmebereitstellung in gleicher Größenordnung wie das in der Studie ausgewiesene Potential.“
Limón GmbH – Tim Fischer, Bereichsleiter Dienstleistungen
„Die Ergebnisse der Studie bestätigen unsere praktischen Erfahrungen. Wie in der Studie beschrieben finden wir in allen Temperaturniveaus hohe Einsparpotenziale. Für uns stellt sich hierbei die Elektrifizierung als die maßgebliche Möglichkeit heraus, wie sich Unternehmen energieeffizient dekarbonisieren können. Den von uns betreuten Unternehmen ist bei der Technologieauswahl für klimaneutrale Prozesswärme eine neutrale und langfristige Risikoanalyse im Sinne von Preispfaden und Versorgungssicherheit wichtig.“
VDMA – Matthias Zelinger, Geschäftsführer Kompetenzcenter Klima & Energie
„Industrietransformation und Wärmewende bieten riesige Effizienz-Chancen. Die notwendigen Technologien sind vorhanden, um die unterschiedlichen klimaneutralen Energieträger optimal einzusetzen und mit dem Gesamtsystem zu vernetzen.“
BNW – Katharina Reuther, Geschäftsführerin
„Die Dekarbonisierung der industriellen Wärme ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zur Klimaneutralität. Nur durch die konsequente Umstellung auf nachhaltige Energiequellen und innovative Technologien können wir die Prozesswärme klimafreundlich gestalten und gleichzeitig den wirtschaftlichen Erfolg sichern. Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet, soziale und ökologische Verantwortung mit ökonomischer Effizienz in Einklang zu bringen, um eine lebenswerte Zukunft zu schaffen.“